Dr. Peter Sander - "Neue Piste? Hier wertet ein Richter!"

Bild: © Clemens Fabry/ Die Presse, "Bis auf Weiteres werden von hier aus nur zwei Pisten kontrolliert." Bild: © Clemens Fabry/ Die Presse, "Bis auf Weiteres werden von hier aus nur zwei Pisten kontrolliert."
  • 2017-02-13T10:25:00+02:00

Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts gegen die dritte Piste zeigt: Die vorgesehene Interessenabwägung macht Entscheidungen großer Tragweite unvorhersehbar.

Die Presse/ Rechtspanorama, am 13. Februar 2017: diepresse.com/home/recht/rechtallgemein/5168695/Neue-Piste-Hier-wertet-ein-Richter#
Von Dr. Peter Sander, LL.M./MBA, Partner bei Niederhuber & Partner Rechtsanwälte

Wien. Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) hat wieder einmal zugeschlagen: Die dritte Piste des Schwechater Flughafens darf nicht errichtet werden. Öffentliche Interessen stehen den Vorhaben entgegen, insbesondere jene zur Erreichung der Klimaziele ( W109 2000179-1/291E).

Das mag auf den ersten Blick verwundern, da der Flughafen als Hub und Dienstleister für die Airlines wohl nicht wirklich beeinflussen kann, ob eben jene klimarelevante Gase ausstoßen (oder in welchem Ausmaß). Spannend ist die Entscheidung für die österreichische Wirtschaft allemal, geht es doch im Kern um ein bisher wenig erforschtes Rechtsinstitut: die sogenannte Interessenabwägung.

Wettstreit der Interessen

So sieht § 71 Abs 1 lit d des Luftfahrtgesetzes vor, dass eine „Zivilflugplatz-Bewilligung“(unter anderem) dann zu erteilen ist, wenn „sonstige öffentliche Interessen nicht entgegenstehen“. Genau das war aber der springende Punkt für das BVwG: „Insgesamt überwiegt das öffentliche Interesse, dass es in Österreich zu keinem weiteren markanten Anstieg an (Treibhausgas-)Emissionen durch Errichtung und Betrieb der dritten Piste kommt und Österreich seine national und international eingegangenen Verpflichtungen zur Reduktion der (Treibhausgas-)Emissionen einhält, gegenüber den verschiedensten öffentlichen Interessen, die für die Errichtung des Vorhabens sprechen.“

Aus, Schluss und fertig! Das ist die tragende Begründung für das rechtliche Scheitern des Vorhabens. Und das völlig zu Recht! Und das völlig zu Recht?

Wir finden im Gesetz die (auch in vielen anderen Bundes- und Landesgesetzen) vorgesehene Rechtsfigur der Interessenabwägung vor. Selbst wenn sämtliche sonst erforderlichen Voraussetzungen für eine Bewilligung erfüllt sind, legt sich über alles noch die unberechenbare Figur der Interessenabwägung darüber (wenn „sonstige öffentliche Interessen nicht entgegenstehen“).

Wenngleich die Entscheidung im Zusammenhang mit einem infrastrukturell so wichtigen Vorhaben wie dem Ausbau des „Wiener“Flughafens überraschend kommt, sollte sie Kenner des BVwG nicht überrascht haben. Bereits 2014 (dort im Zusammenhang mit einer Stromleitung) nahm das Verwaltungsgericht für sich in Anspruch, eine eigene Wertentscheidung im Rahmen der Interessenabwägung zu treffen (W104 2000178-1/63E). Dort mit der unmissverständlichen Begründung, dass die Entscheidung, welche Interessen überwie- gen, in der Regel eine Wertentscheidung ist, da die konkurrierenden Interessen meist nicht monetär bewertbar und damit berechenund vergleichbar sind.

Somit ist aber gleichzeitig gesagt, dass eine Kontrolle dieses Kerns der Wertentscheidung nicht Gegenstand der gerichtlichen Kontrolle sein kann, sondern eben immer nur die Rahmenbedingungen dafür, also die Erfassung der für und gegen ein Vorhaben sprechenden Argumente. Andernfalls wäre man ja mit einer skurrilen Situation konfrontiert: Die Wertentscheidung einer Person (in aller Regel des Organwalters der entscheidenden Behörde), die einer politisch legitimierten Behörde zuzurechnen ist, würde durch die Wertentscheidung einer anderen Person (eines Verwaltungsrichters) ersetzt werden, die rein auf Basis ihrer persönlichen Einzelwertung eine – hier durchwegs gesamtgesellschaftlich relevante – Entscheidung trifft.

Abschied vom Rechtsanspruch

Damit verabschieden wir uns aber wohl endgültig von der Grundkonzeption im öffentlichen Recht, nämlich, dass bei Erfüllung sämtlicher Genehmigungsvoraussetzungen ein Rechtsanspruch auf die Erteilung eben der Genehmigung besteht. Dem steht in vielen Bereichen (neben dem Luftfahrtrecht fällt sofort auch das Starkstromwegerecht oder das Forstrecht ein, natürlich auch sämtliche naturschutzrechtlich relevanten Gesetze oder auch das Wasserrecht) dann auch noch die Interessenabwägung entgegen. Und diese ist – wie das Erkenntnis des BVwG zum Flughafen Wien zeigt – alles andere als zahnlos; und vor allem unberechenbar, weil eben von den handelnden Personen abhängig. Dass dies mit mit dem Konzept einer (verwaltungs-)gerichtlichen Kontrolle der Behörden nicht vereinbar ist, liegt auf der Hand – sonst hätte der Verfassungsgesetzgeber wohl die zweite Instanz im Verwaltungsverfahren nicht durch unabhängige Gerichte ersetzt.

Fakt ist aber auch, dass insbesondere das BVwG gewillt ist, im Rahmen der Interessenabwägung die ihm dadurch zukommende (?) Wertentscheidungskompetenz auch in Anspruch zu nehmen. Für die Rechts- und Planungssicherheit ist das alles andere als förderlich und hat – ein wenig dogmatischer betrachtet – auch nicht mehr viel mit gerichtlicher Kontrolle zu tun.

Keine fundamentale Frage

Wie auch immer man zu dieser Entscheidung stehen mag (zwischen einem rein rechtswissenschaftlichen und einem wirtschaftsstandortorientierten ist viel Platz für den jeweils individuell passenden Standpunkt), konsequent ist hingegen der Ausspruch des BVwG, dass die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) ausgeschlossen ist: Zur Frage der Interessenabwägung existiert tatsächlich eine Reihe von Judikaten z. B. zu Rodungen, Kleinwasserkraftwerken, Klubhäusern von Sportvereinen, Almwegen und dergleichen, sodass das Erkenntnis diesbezüglich keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft. Aufgrund der Komplexität des Verfahrens ist freilich nicht ausgeschlossen, dass abseits der Interessenabwägung andere Rechtsfragen von grundlegender Bedeutung beim VwGH geltend gemacht werden können.